Dienstag, 18. Oktober 2011

Casper - "XOXO"

INFORMATIV
Hält man die Platte in den Händen ist von vorne herein klar, dieses Album ist eine Ansage. Auf dem Plattencover ein weisser Wolf mit flätschenden Zähnen: hier werden keine Kompromisse gemacht, Angriff ist die beste Verteidigung! Zusätzlich umraunte schon vorab die Musikpresse das Release, der obligate Internethype tat auch sein übriges dazu. Der Konsens von allen Seiten: "Da kommt was grosses auf uns zu."
Casper ist ein 26 jähriger Rapper, aufgewachsen zwischen Bösingfeld und Augusta (Georgia). In der deutschen Rap Subkultur ist er einschlägig Informierten schon längst ein Begriff und nun mit diesem Release auf FOUR Records wird er wohl den Transfer in den Mainstream, oder ähem... sagen wir: "in das kollektive Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit" schaffen.

OBJEKTIV
Casper und Band verkörpern eine neue Permutation im deutschen HipHop. Nicht nur wird das grassierende Gangstergetue von einer neuen Introspektive und Selbstreflektion abgelöst, auch musikalisch hat sich einiges geändert. So gibt es in der Überzahl der Songs auf XOXO das klassische Garagenbandtrio Gitarre, Bass und Schlagzeug zu hören. Die Features wurden sichtlich handverlesen, so senden die Auswahl eines Thees Uhlmann oder Marteria schon klare Signale wo man sich zugehörig fühlt. Liegt das Werk nun endlich im Plattenspieler, wird schon nach kurzem hören klar, dass einzig und allein Caspers Sprachgebrauch die Genrezugehörigkeit ins HipHop-Lager bestimmt. Würde man den Frontmann aus der Gleichung substrahieren, könnte man es auch mit einer begaben Indieband zu tun haben. So steht und fällt das Konstrukt Casper mit dem Frontmann und Rapper Casper.

SUBJEKTIV
Ja ich bin tatsächlich begeistert. Die energievoll vorgetragene, etwas aggressive Art und Weise die Worte aus dem Mund ins Mikrofon zu transportieren, das muss einem Gefallen. Ist das der Fall, kann man sich der Schönheit der ausgewählten Gitarrensounds widmen, welche mich persönlich ins Schwelgen bringen.
"Blut sehen" ein klassischer HipHop Track mit scheppernd-wummerndem Beats und einfachem Drumpattern baut Spannung mit einer unheimlich dichten Atmosphäre in den Strophen auf. Diese entlädt sich im Refrain, genannt Hook im HipHopgenre, mit einer schimmernd-brodelnden Noisewand hinter dem Beat. Die martialischen Lyrics über sozialen ungehorsam und die kongeniale gedankliche Assoziation zu Gladiatorenkämpfen im Kontext tun ihr übriges dazu: Aufgeputscht prescht das Adrenalin durch den Körper. Egal ob in der Strassenbahn oder beim Sport, man fühlt sich übermenschlich gross. Fantastisch!

"Michael X" mein Favorit. Vielleicht für immer. Was für ein wahnsinnig berührendes Stück Musik über Freundschaft, Zusammenhalt, Treue, männliche Testosterongloria und Verlust. Eine kleine Klaviermelodie hält das Stück zu Beginn zusammen, dann ätherische Gitarren und ein militärisch anmutendes Drumpattern (zum letzten Geleit?) prägen die Atmoshphäre. Absolutes Highlight für mich ist die Zeile "...du warst der Bruce für unsere kleine E-Street-Band...". So vermeintlich einfach kann man umschreiben, was ein Mensch einem selbst bedeutet. Und doch ist es unendlich raffiniert. Bruce, The Boss, Springsteen. Das ewige Idol der US-amerikanischen Arbeiterklasse, einer der für dich da ist, nie abgehoben, immer das Herz am rechten Fleck. Er versteht dich, geht mit dir auf ein Bier, du heulst dich an seiner Schulter aus über deine Existenzängste und er verwandelt deine Geschichte in eine Hymne für alle denen es genauso geht. Eben einer zum Pferdestehlen. Wollen wir nicht alle so einen zum Freund haben? Sehr raffiniert, sehr berührend dieser Vergleich, Mr. Casper. Chapeau!

Aber es gibt auch schwächere Tracks auf dem Album, allen voran das Feature mit Marteria "So Perfekt". Grösstenteils wird in diesem Song die Erfolgsformel beibehalten, aber im Refrain wird es mir persönlich etwas zu poppig, als ich es mir von Casper wünschen würde. Plötzlich wird die Produktion um Hall und merkwürdige Synthesizer und/oder Keyboardflächen angereichert und irgendwie fühle ich mich peinlich berührt. Dazu noch ein leises, verhalltes "heeeyyyyy!" im Hintergrund.... Eine Stilblüte dieser Refrain. 

DIE FORMEL
Interpol + Kool Savas - Gangsterattitude - Grössenwahn + Introspektive á la Trent Reznor

8/10

Vielen Dank fürs lesen,
Listen Long and Prosper!

John


physisch : hier
digital : hier


Casper - "Michael X"

 Casper - "Blut sehen"
 

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